In den Jahren nach dem Prager Frühling 1968 zieht Trinkewitz mit dem Skizzenblock durch seine Heimatstadt und malt wie im Fieber die von den Sowjets okkupierte Stadt – ohne auch nur einen der Besatzer ins Bild zu nehmen. Vielmehr zeichnet er historische Marker: Karlsbrücke und Hradschin, Josefstadt und Moldau, Kampa und Teufelsgraben. Den Zeichnungen fügt er Haikus bei.
So kreiert Trinkewitz über mehrere Bände sein „Prag im Haiku“. Prag, die überdeterminierte Textstadt, bekommt eine ungewohnt flüchtig hingetuschte Gestalt. Trinkewitz begründet das aus der Gattung heraus: „Ein Haiku ist viel zu kurz, als dass es mehr als eine Laune der Erinnerung anregen kann. […] Im Haiku ist das umso wichtiger, was nur angedeutet ist, ausgelassen wurde […].“ Eben unerträglich leicht.
Dich, Moldau, schimmernd
unter den Brücken
für immer
mit Haikus schmücken!
„Erinnerungsblitze“ nennt Karel Trinkewitz seine deutsch-tschechischen Prag-Haikus. In ihnen lässt er das Alte Prag auferstehen: die berühmten Magier und Komponisten, Dichter und Künstler, dubiosen Phantasiegestalten und allerlei historisches Personal. Seine Prag-Haikus folgen im Grunde einem Leitmotiv, das er nun wie willkürlich verdichtet – Bertolt Brechts „Lied von der Moldau“:
Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Bertold Brecht, 1944